Gedichte zum Thema Bücher und Lesen

Spätlese

Ich bin sehr krank und geh zum Schrank.
Ich hol ein Glas
und fülle das
mit Moselwein.
Hm, der schmeckt fein:
Spätlese!

Ich bin genesen
und möchte lesen.
Ich hol mir was
und lese das
von abends acht
bis Mitternacht.
Auch 'ne Spätlese...

Heinz Erhardt

Das Buch

Ums Buch ist mir nicht bange
Das Buch hält sich noch lange.

Man kann es bei sich tragen
und überall aufschlagen.

Sofort und ohne Warten,
kann man das Lesen starten.

Im Sitzen, Stehen, Knien,
ganz ohne Batterien.

Beim Fliegen, Fahren, Gehen.
Ein Buch bleibt niemals stehen.

Beim Essen, Kochen, Würzen.
Ein Buch kann nicht abstürzen.

Die meisten andren Medien,
tun sich von selbst erledigen.

Kaum sind sie eingeschaltet,
heißts schon: die sind veraltet!

Und nicht mehr kompatibel -
marsch in den Abfallkübel

zu Bändern, Filmen, Platten,
die wir einst gerne hatten,

und die nur noch einen Dreck sind.
Weil die Geräte weg sind

und niemals wiederkehren,
gibt´s nichts zu sehn, zu hören.

Es sei denn, man ist klüger
und hält sich gleich an Bücher,

die noch in hundert Jahren,
das sind, was sie einst waren:

Schön lesbar und beguckbar,
so stehn sie unverruckbar,

in Schränken und Regalen
und die Benutzer strahlen:

Hab´n die sich gut gehalten!
Das Buch wird nicht veralten.

Robert Gernhardt

Letteritis

Ganz plötzlich wird es Dir bewußt:
Erkrankt ist Deine Leselust!
Nach welchem Buche Du auch faßt,
Keins, das zu Deiner Stimmung paßt!
Du gibst nicht hin – es gibt nichts her:
Bald ists zu leicht, bald ists zu schwer.
Mit leerem Herzen und Verstand
Starrst Du auf Deine Bücherwand:
Die altbewährte, edle Klassik
Ist Dir auf einmal viel zu massig
Und über die moderne Lyrik
Denkst Du schon beinah ehrenrührig.
Der Reißer selbst, in dessen Flut
Du sonst gestürzt voll Lesewut,
Wirft heut Dich an sein Ufer, flach;
Dein Drang zur Wissenschaft ist schwach;
Und das gar, was sich nennt Humor,
Kommt Dir gequält und albern vor.
Geduld! Laß ab von aller Letter!
Es wird sich ändern, wie das Wetter:
Schon morgen, unverhofft genesen,
Kann Du dann lesen, lesen, lesen!

Eugen Roth

Bücher

Ein Mensch, von Büchern hart bedrängt,
An die er lang sein Herz gehängt,
Beschließt voll Tatkraft, sich zu wehren,
Eh sie kaninchenhaft sich mehren.
Sogleich, aufs äußerste ergrimmt,
Er ganze Reihn von Schmökern nimmt
Und wirft sie wüst auf einen Haufen,
Sie unbarmherzig zu verkaufen.
Der Haufen liegt, so wie er lag,
Am ersten, zweiten, dritten Tag.
Der Mensch beäugt ihn ungerührt
Und ist dann plötzlich doch verführt,
Noch einmal hinzusehn genauer -
Sieh da, der schöne Schopenhauer...
Und schlägt ihn auf und liest und liest,
Und merkt nicht, wie die Zeit verfließt...
Beschämt hat er nach Mitternacht
Ihn auf den alten Platz gebracht.
Dorthin stellt er auch eigenhändig
Den Herder, achtundzwanzigbändig.
E.T.A. Hoffmanns Neu-Entdeckung
Schützt diesen auch vor Zwangs-Vollstreckung.
Kurzum, ein Schmöker nach dem andern
Darf wieder auf die Bretter wandern.
Der Mensch, der so mit halben Taten
Beinah schon hätt den Geist verraten,
Ist nun getröstet und erheitert,
Daß die Entrümpelung gescheitert.

Eugen Roth